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Philosophie, Religion und Ethik

Die Fachschaften Philosophie, Religion und Ethik veröffentlichen hier in unregelmäßigen Abständen Impulse und Texte zu ihren Fächern. Schaut also immer wieder vorbei. Den Anfang macht Philosophie:

Warum sollte Philosophie ein Schulfach sein? - Rede der Schülerin Martha Pfeifer, Gewinnerin des philosophischen Essaywettbewerbes 2019

Angesichts der Tatsache, dass Philosophie ein Schulfach ist, können und müssen wir annehmen, dass Philosophie in irgendeiner Weise zur Bildung beiträgt. Wenn wir nun wissen wollen, inwieweit das geschieht, schauen wir, was Bildung sein kann, welche besondere Rolle der Philosophie in ihr zukommt und nun welche Bedeutung das gerade für junge Menschen, die in die Schule gehen, haben kann.

Naheliegend wäre zunächst anzunehmen Philosophie vermittle oder enthielte bestimmtes Wissen, über das der gebildete Mensch verfügen sollte. Obwohl oft vom Bildungskanon gesprochen wird und Wissen im Kontext der Bildung unabdingbar ist, macht es sie jedoch im Kern nicht aus. Wenn Bildung dies, enzyklopädischer Erwerb von Wissen, gerade nicht ist, stellt sich natürlich die Frage, was sie dann ist. Diese Frage ist nur sehr schwer zu beantworten, denn es wird sich schnell herausstellen, dass es sich mehr um eine fantastische, fast wahnwitzige Idee handelt, als um ein schon bestehendes Etwas, das es zu beschreiben gilt.

Das erste Charakteristikum der Bildungsidee, wie ich sie nun nennen möchte, um ihren fantastischen Charakter zu wahren, ist ihre fehlende Funktionalität. Wir betiteln dies oft mit dem unheimlichen Wort Selbstzweck und meinen damit, dass der Zweck nicht außerhalb, sondern innerhalb unserer selbst liegt. Wie der Mensch keinen Zweck hat so auch die Dinge wie Bildung, Musik, Kunst, die wir als zutiefst menschlich ansehen. Was jedoch meistens damit einhergeht, ist das Empfinden dessen als in besonderem Maße sinnvoll. Ich hoffe im Folgenden darstellen zu können, warum sie das ist.

Die Bildungsidee - so könnte eine erste Anmaßung lauten, an dem sich folgende Überlegungen entlanghangeln werden - ist eine bestimmte Art als Mensch, der Welt und sich selbst zu begegnen. Der Bildungsprozess soll also an irgendeinem Punkt eine Relation zwischen dem Individuum und der Welt oder dem Individuum und sich selbst herstellen. Sich zu bilden würde bedeuten die Relation zwischen sich und der Welt oder seiner selbst immer wieder aufs Neue zu konstruieren und zu hinterfragen. Anders als wenn die Relation rein dadurch geschieht, dass der Mensch die Welt wahrnimmt oder sich selbst erlebt, wird diese Relation im Vorgang des Sichbildens durch die bewusste Reflexion der Rolle, die man selbst und die Welt dabei einnimmt, erzeugt. Die Situation der Relation wird selbst zum Thema. Dass sie zum Thema wird, macht sie angreifbar und damit fähig zur Entwicklung und Veränderung. Es befreit uns davon Spielball unserer Umstände oder gedanklicher Mitläufer zu sein. Solang wir das nicht tun, sind wir Thema unserer Relationen, wenn wir die Relationen aber hinterfragen und untersuchen, sind wir plötzlich die Autoren, die das Thema verändern können und dem Autor, uns selbst, anpassen können. Sich zu bilden hieße also sein Leben in die Hand zu nehmen. Etwas thematisieren zu können, es sprachlich oder auch auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen gibt uns die Möglichkeit der Vision, der Idee, der Möglichkeit etwas an der Welt wie sie ist zu verändern. Weil wir der Welt dadurch dass wir eine innere Distanz zu ihr herstellen können, dass wir über sie denken können, nicht mehr blind ausgeliefert sind. Hegel formuliert dies als ,,Herausarbeiten […] aus der Unmittelbarkeit des substantiellen Lebens''.

Hier wird die Problematik oder auch die Chance der Bildung sehr deutlich. In der Bildungsidee ist nicht festgelegt, welches Ziel dieses Verfahren des Menschseins haben soll. Jede Relation zur Welt und jede Relation zu sich selbst ist von Mensch zu Mensch völlig verschieden, wird verschieden betrachtet und somit anders hinterfragt und verändert. Bildung als individuelles Projekt kann und darf kein endgültiges Ziel haben, sondern definiert sich über den Vorgang als solchen. Dadurch leidet die Bildung an chronischer Offenheit, Unplanbarkeit und Unabgeschlossenheit. Ein Projekt ohne Ende und ohne Ziel. Der einzige Grund sich ihr dennoch zuzuwenden sind wir selbst. Wunderbar beschrieben mit Humboldts Worten: ,,..ohne, dass er sich selbst dessen bewusst ist, liegt es ihm nicht eigentlich an dem, was er von jener [der Bildung] erwirbt, oder außer sich hervorbringt, sondern nur an seiner inneren Verbesserung und Veredlung, oder wenigstens an der Befreiung der inneren Unruhe, die ihn verzerrt.“ Was man als das humanistische Bildungsideal bezeichnen kann. Was also hat nun Philosophie mit dieser fantastischen Idee, die wir uns etwas näher betrachtet haben, zu tun?

Die zuvor geschilderte Situation des Zumthemamachens entspringt eigentlich aus einer zutiefst philosophischen Quelle: dem Fragen. Es entwickelt sich dadurch, dass wir etwas für nicht selbstverständlich annehmen, dass wir staunen .,,Denn dies ist gerade der Zustand des Philosophen, das Erstaunen.'' schreibt Platon. In einer Definition der platonischen Schule schreibt er Philosophie sei, ,,die Einstellung das Wahre daraufhin zu betrachten, inwiefern es wahr ist''. Philosophie ist die grundsätzliche Bereitschaft dazu alles, auch das scheinbar Selbstverständliche oder Banale genau zu betrachten und zu untersuchen. Nicht der Gegenstand ihrer Untersuchung definiert die Philosophie, sondern ihr Vorgehen. Philosophie versucht so gut wie sie kann voraussetzungslos anzufangen. Sie nimmt nichts als gegeben hin. Meist entsteht durch sie auch kein neues Wissen, sondern mehr die Erkenntnis, dass die Annahme dieses oder jenes sicher zu wissen, falsch ist. Man könnte provokant behaupten Philosophie sei eigentlich nur dazu da durch sprachliche Artikulation zu klären, was wir alles nicht wissen. An eine bestimmte philosophische Schule zu ''glauben'' ist fast schon unphilosophisch. Der Philosoph konstatiert nicht, er fragt. Weil er sich der Relativität jeder Aussage bewusst ist. Der Philosoph Richard Rorty schreibt in ,,Bildende Philosophie'' vom bildenden Philosophen, der versucht genau dieser Schwierigkeit des Konstatierens zu entweichen: ,,Große bildende Philosophen wollen dem Staunen seinen Platz erhalten wissen - […] Sie weigern sich, sich als jemand darzustellen, der objektive Wahrheiten entdeckt hat. Vielmehr stellen sie sich als jemand dar, der etwas Grundverschiedenes und weit Wichtigeres tut, als genau darzustellen, wie die Dinge sind.'' Darüber wie wir diesen Philosophen begegnen sollen, schlägt er vor sie nicht als ,,Theoretiker über Themen'', sondern als ,,Gesprächspartner'' zu betrachten. Dadurch wird der Leser nämlich selbst zum Philosophen und bleibt nicht beim Gelesenen stehen, sondern widmet sich immer wieder der Methode der Philosophie zu.

Kehren wir zur Kernfrage zurück, warum dieses ziellose Treiben für junge Menschen in der Schule, von so enormer Bedeutung ist. Wenn wir die vorangestellten Betrachtungen ansehen, so bleibt im Zentrum jeder bildenden und philosophischen Idee der Mensch als solcher. Der Mensch, der über sich selbst Bescheid weiß, der sich verändern kann und der eine Idee davon hat die Welt zu verändern. Das sind alles nur Ideale und keiner weiß vorher, wo die Reise der Bildung und der Philosophie enden wird. Aber ich glaube uns Schüler darin zu bestärken, das Leben, die Welt und letztlich uns selbst radikal ernst zu nehmen, zu hinterfragen und etwas daran verändern zu können, ist - so denke ich - mit das Wertvollste, was man uns geben kann. Das Wissen bestimmter Fachgebiete wird uns begleiten, oder auch nicht. Aber mit uns selbst verbringen wir ein ganzes Leben. Die Philosophie hört nie auf und so zwecklos sie auch erscheinen mag, ist sie uns am Ende vielleicht doch ein Lebensretter.

http://www.fv-philosophie-rlp.de/blog (letzter Zugriff: 20.11.2020)